Für die Kanarischen Inseln war die Reisewarnung der Bundesregierung wegen hoher Corona-Zahlen ein herber Schlag. Tourismusunternehmen sagten ihre Angebote ab – doch nun herrscht wieder Hoffnung in der spanischen Urlaubsregion. Zu Recht?
Hannover/Berlin (dpa) – Mit Pauschalreisen ins Corona-Risikogebiet Kanarische Inseln trotzt der Tourismuskonzern Tui einer Reisewarnung der Bundesregierung und will die Verluste des desaströsen Urlaubsjahrs 2020 abfedern. «Wir wollen dem Gast die Wahl geben, ob er die Reise antreten oder kostenlos stornieren oder umbuchen möchte», sagte Tui-Sprecher Aage Dünhaupt am Montag. «Wir machen es, weil es auch von den Kunden gewünscht wurde.» Zudem sieht der Konzern darin ein Angebot für die bevorstehenden Schulferien. Doch einer YouGov-Umfrage zufolge gibt es nur wenig Bereitschaft für Badeurlaub im Süden. Demnach will nur jeder 20. Mensch in Deutschland in den Herbstferien trotz Pandemie ins Ausland reisen. Und auch Urlaub in Deutschland ist angesichts steigender Neuinfektionen nicht gefragt: Mehr als zwei Drittel der Befragten (70 Prozent) planen überhaupt keine Reise in den Ferien.
Tui-Deutschland-Chef Marek Andryszak sieht dennoch Potenzial. Viele Kunden würden genau abwägen, ob sie in ein Risikogebiet reisen oder nicht. «Aber durch die Möglichkeit, sich testen zu lassen, glaube ich schon, dass viele Kunden ihren Urlaub trotz Reisewarnung antreten werden», sagte Andryszak den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er betonte, mit der Entscheidung stelle sich das Unternehmen nicht gegen die Bundesregierung.
Der Konzern erhält Staatshilfe in Milliardenhöhe zur Überbrückung des coronabedingten Geschäftseinbruchs. Tui fährt einen harten Sparkurs mit Stellenstreichungen und geringeren Investitionen. Am Montag kamen schlechte Nachrichten hinzu: Auf dem Kreuzfahrtschiff «Mein Schiff 6» der Reederei Tui Cruises wurden 12 Besatzungsmitglieder positiv auf das Coronavirus getestet. Das Schiff mit mehr als 1500 Menschen an Bord ist nun auf dem Weg in die Hafenstadt Piräus nahe Athen. Die Betroffenen seien an Bord isoliert worden und würden erneut getestet, hieß es bei Tui Cruises. Erste Befunde seien negativ.
Eine Reisewarnung ist kein Verbot, soll aber eine erhebliche abschreckende Wirkung für touristische Reisen haben. Als Risikogebiete ausgewiesen werden Regionen oder ganze Länder, in denen ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit dem Virus Sars-CoV-2 besteht. Reisende, die aus Risikogebieten zurückkehren, müssen sich 48 Stunden vor oder nach der Einreise auf Corona testen lassen und dann solange in Quarantäne bleiben, bis das negative Testergebnis da ist. Eine Reisewarnung ermöglicht Urlaubern, Buchungen kostenlos zu stornieren.
Die Tourismusindustrie zählt zu den am härtesten von der Corona-Krise getroffenen Branchen. Der Deutsche Reiseverband (DRV) fürchtet eine Pleitewelle. Laut einer Umfrage des Verbandes sehen sich knapp 70 Prozent der Reisebüros unmittelbar von der Insolvenz bedroht. Bei den Reiseveranstaltern ist es gut die Hälfte. Die Umsätze liegen nach DRV-Angaben derzeit bei einem Viertel der Vorjahreserlöse – «und eine Besserung ist nicht in Sicht».
Geradezu als kontraproduktiv empfindet die Branche daher auch die neuen Regeln der Bundesregierung, die von Oktober an gelten. Dann müssen Rückkehrer aus Risikogebieten mindestens fünf Tage in Quarantäne. Zudem sollen sich nach Deutschland einreisende Passagiere über ein Online-Portal anmelden. Wer das versäumt, dem drohen Bußgelder.
«Wir verstehen auch nicht die Verhältnismäßigkeit», sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI), Dirk Hoke. Inzwischen stünden ausreichend Schnelltests zur Verfügung, bei denen man schon nach ein oder zwei Stunden ein Ergebnis habe. Eine pauschale Quarantänepflicht komme einer Stilllegung des Flugbetriebs gleich, sagte Hoke. «Sie sehen ja, in welchem Zustand die Airlines heute schon sind. Dann wird sich das noch mal verschärfen.» Und es müsse damit gerechnet werden, dass die Auswirkungen auf die Luftfahrtbranche auch entsprechend schwer seien.
Kritik gab es auch am jüngsten Appell von Gesundheitsminister Jens Spahn, in den Herbst- und Winterferien nicht ins Ausland zu reisen. Das verunsichere Reisende «und kommt einem Berufsverbot für Reisebüros und Reiseveranstalter gleich, denn sie machen das Gros ihres Geschäfts mit Reisen ins Ausland», betonte der DRV. «Um es ganz deutlich zu sagen: Mit solchen Aussagen steuert die Politik die Reisewirtschaft in einen zweiten Lockdown.» Damit werde das Geschäft verhindert, sagte ein Verbandssprecher auf Anfrage. «Auf der anderen Seite ist es ein wahnsinniges Durcheinander und sorgt für Verwirrung und Verunsicherung bei den Kunden.»
Angesichts der schwierigen Lage für die Reisebranche, die direkt und indirekt 10 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt der EU beiträgt, will sich die Gemeinschaft enger abstimmen. Dies solle gelten für Reisewarnungen sowie Quarantäne- und Testvorschriften, sagte der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß, am Montag in Berlin nach einer informellen Videokonferenz der EU-Tourismusminister. Für Reisende sollten Verlässlichkeit und Sicherheit geschaffen werden. Es gehe darum, wie private und geschäftliche Reisen in Europa wieder stärker ermöglicht werden könnten, sagte der Wirtschafts-Staatssekretär. Konkrete Beschlüsse fassten die Minister nicht.
Auf den Kanaren sorgt die Tui-Initiative für etwas Hoffnung: Der Tourismus ist für die Inseln mit einem Anteil von 35 Prozent am Regionaleinkommen überlebenswichtig. Die Zeitung «La Provincia» hatte geschrieben, die deutsche Reisewarnung «versetzt dem Tourismus der Kanaren den Gnadenstoß». Experten warnten, die Arbeitslosenrate könne deshalb von zuletzt gut 21 Prozent (zum 30. Juni) auf 40 Prozent in die Höhe schießen.
Nun könnte dort die Herbstsaison noch einigermaßen gerettet werden. Und auch andere beliebte Urlaubsregionen könnten noch Zulauf erhalten. Denn die Menschen in Deutschland zeigen sich derzeit sehr spontan, viele buchen kurzfristig. «Drei Viertel aller Buchungen, die bislang im September getätigt worden sind, betrafen Urlaub im September oder Oktober», sagte der DRV-Sprecher. (Von Benedikt von Imhoff, dpa – Foto: ARTuro Jimenez/dpa)