Der Katalonien-Konflikt droht in Spanien drei Jahre nach dem illegalen Unabhängigkeitsreferendum erneut zu eskalieren. Die Justiz setzt den separatistischen Regierungschef wegen Ungehorsams ab. Wie reagieren Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung?

Madrid (dpa) – Die spanische Justiz hat den Regierungschef der Konfliktregion Katalonien, Quim Torra, wegen Ungehorsams abgesetzt. Das Oberste Gericht Spaniens (TSJ) bestätigte am Montag in Madrid ein entsprechendes Urteil des katalanischen Oberlandesgerichts vom vergangenen Dezember, wonach Torra eineinhalb Jahre lang kein öffentliches Amt bekleiden darf. Der Grund: Der 57-Jährige hatte sich vor der spanischen Parlamentswahl vom 28. April vergangenen Jahres geweigert, am Sitz seiner Regierung in Barcelona und an anderen öffentlichen Gebäuden Symbole der Unabhängigkeitsbewegung zu entfernen, obwohl die Wahlbehörde dies angeordnet hatte.

Beobachter befürchten, dass die Amtsenthebung Torras mitten in der Corona-Krise und drei Jahre nach dem illegalen Unabhängigkeits-Referendum vom 1. Oktober 2017 zu einer neuen und gefährlichen Eskalation des Katalonien-Konflikts führen wird. Verschiedene separatistische Parteien und Organisationen riefen zu Protestaktionen auf. In Katalonien herrsche nun große Ungewissheit, kommentierte der staatliche spanische Fernsehsender «RTVE».

«Einige Richter haben beschlossen, dass ich nicht mehr Präsident Kataloniens sein darf. Ich will euch sagen, dass kein ungerechtes Gesetz und keine Racheaktion die Demokratie bezwingen kann», sagte Torra in einer Rede an die Katalanen. Er werde einen Prozess vor den europäischen Gerichten anstrengen. «Nur dort können wir katalanische Separatisten Gerechtigkeit finden», betonte er. Das Urteil wurde unterdessen nicht nur von Sprechern separatistischer und linker Parteien unter anderem als «Schande» und als «Anschlag auf die Demokratie» sowie Meinungsfreiheit kritisiert. Der Universitäts-Minister der Zentralregierung, der angesehene Soziologe Manuel Castells, bezeichnete die Entscheidung der Justiz als «Provokation» in «einer ohnehin schon sehr komplizierten Lage». Torra gab zunächst keine Stellungnahme ab.

Die Bestätigung der Amtsenthebung sei einstimmig beschlossen worden, teilte das Gericht in Madrid mit. Außerdem wird Torra eine Geldstrafe von 30 000 Euro auferlegt. Der Regionalpräsident habe sich der Anordnung der Wahlbehörde starrköpfig widersetzt. Torra hatte beim Obersten Gericht Berufung eingelegt. Nach der Veröffentlichung des Urteils im spanischen Amtsblatt und der gerichtlichen Mitteilung muss Torra das Amt des regionalen Ministerpräsidenten wohl schon am Dienstag an seinen bisherigen Vize, Pere Aragonés, abtreten. Es gilt als sicher, dass Aragonés anschließend für Anfang 2021 Neuwahlen ausrufen wird. Torra rief die Wähler am Montag dazu auf, die vorzeitigen Wahlen zu einer Volksabstimmung über die Abspaltung von Spanien zu machen.

Der Regionalpräsident hatte vor den spanischen Parlamentswahlen im Frühjahr 2019 an der Fassade des Regierungssitzes unter anderem ein Banner angebracht, auf dem die Freilassung von Separatisten gefordert wurde. Diese wurden als «politische Gefangene» bezeichnet. Zudem waren dort und an anderen Gebäuden der Region im Nordosten Spaniens unzählige gelbe Schleifen als Zeichen der Solidarität mit inhaftierten Separatistenführern angebracht worden. Die Wahlkommission hatte die Entfernung der Symbole mit der Begründung gefordert, diese repräsentierten nur einen Teil der Bevölkerung.

Vor knapp einem Jahr verurteilte das Oberste Gericht im Zuge des illegalen Referendums neun Separatistenführer zu langen Haftstrafen von bis zu 13 Jahren. Nach Bekanntgabe der Urteile gab es damals in Barcelona tagelange Proteste und Unruhen.

Tausende demonstrieren nach Absetzung des Regierungschefs

28.09.2020, Spanien, Barcelona: Eine Frau, die einen Mundschutz mit dem Symbol der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung -einer gelben Schleife- trägt, hebt die Faust während einer Kundgebung gegen die Entscheidung des Obersten Gerichts Spaniens (TSJ), den katalanischen Regionalpräsident Torra wegen Ungehorsams des Amtes zu entheben. Nach dem Urteil des TJS soll Torra eineinhalb Jahre lang kein öffentliches Amt bekleiden dürfen. Foto: Jordi Boixareu/ZUMA Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Tausende Menschen haben am späten Montagabend in ganz Katalonien gegen die Absetzung ihres Regierungschefs Quim Torra durch die spanische Justiz protestiert. So versammelten sich unter anderem in Barcelona nach Medienberichten 500 bis 1000 Menschen, die zum Ciutadella-Park vor dem Regionalparlament marschierten. Sie bewarfen Polizisten mit Böllern, Müllsäcken, Steinen und auch mit Schweineköpfen. Sie setzten zudem Müllcontainer in Brand. Die spontane Demonstration löste sich den Angaben zufolge gegen 23 Uhr auf. Protestiert wurde auch in anderen Teilen Kataloniens.

Zuvor hatte die spanische Justiz Torra wegen Ungehorsams abgesetzt. Das Oberste Gericht Spaniens (TSJ) bestätigte am Montag in Madrid ein entsprechendes Urteil des katalanischen Oberlandesgerichts vom vergangenen Dezember, wonach Torra eineinhalb Jahre lang kein öffentliches Amt bekleiden darf. Der Grund: Der 57-Jährige hatte sich vor der spanischen Parlamentswahl vom 28. April vergangenen Jahres geweigert, am Sitz seiner Regierung in Barcelona und an anderen öffentlichen Gebäuden Symbole der Unabhängigkeitsbewegung zu entfernen, obwohl die Wahlbehörde dies angeordnet hatte.

Beobachter befürchten, dass die Amtsenthebung Torras mitten in der Corona-Krise und drei Jahre nach dem illegalen Unabhängigkeits-Referendum vom 1. Oktober 2017 zu einer neuen und gefährlichen Eskalation des Katalonien-Konflikts führen wird. Verschiedene separatistische Parteien und Organisationen riefen zu Protestaktionen auf. In Katalonien herrsche nun große Ungewissheit, kommentierte der staatliche spanische Fernsehsender «RTVE». (dpa – Foto: David Zorrakino/EUROPA PRESS/dpa)

28.09.2020, Spanien, Barcelona: «Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung» steht auf einem Transparent, das vom Balkon der Regionalregierung von Katalonien hängt. Der separatistische Regierungschef der spanischen Konfliktregion Katalonien, Torra, wird wegen Ungehorsams des Amtes enthoben. Foto: David Zorrakino/EUROPA PRESS/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Update: Di, 29.09.2020, 12:42

Kataloniens abgesetzter Regionalpräsident ruft Verfassungsgericht an

Madrid (dpa) – Der wegen Ungehorsams abgesetzte Präsident der von Spanien abtrünnigen Region Katalonien, Quim Torra, hat nach einem Bericht des TV-Senders RTVE am Dienstag vor dem Verfassungsgericht in Madrid die sofortige Aussetzung der Maßnahme beantragt. Sein Rechtsanwalt Gonzalo Boye habe den Eilantrag, der dem Sender vorliege, damit begründet, dass Torra und andere durch die Amtsenthebung einen «schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden» erleiden würden. Medienberichten zufolge hat die Initiative beim Verfassungsgericht aber nur wenig Aussicht auf Erfolg. Boye kündigte für den Fall eines Scheiterns vor dem Verfassungsgericht den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg an, wie die Zeitung «La Vanguardia» berichtete.

Am Vortag hatte das Oberste Gericht Spaniens (TSJ) die Berufung Torras gegen die bereits im vergangenen Dezember vom katalanischen Oberlandesgericht ausgesprochene Absetzung einstimmig zurückgewiesen. Demnach darf Torra nun eineinhalb Jahre kein öffentliches Amt bekleiden, weil er sich vor der spanischen Parlamentswahl 2019 geweigert hatte, Symbole der Separatisten von öffentlichen Gebäuden zu entfernen, obwohl die Wahlbehörde dies angeordnet hatte.

Die Absetzung fachte die Spannungen in Katalonien mitten in der schweren Corona-Krise erneut an. Tausende Menschen demonstrierten am späten Montagabend in ganz Katalonien gegen die Absetzung. In Barcelona bewarfen Demonstranten Polizisten mit Böllern, Müllsäcken, Steinen und auch mit Schweineköpfen. Sie setzten zudem Müllcontainer in Brand.

Die Regierungsgeschäfte gehen auf Torras Vize, Pere Aragonés, über. Es galt als sicher, dass für Anfang 2021 eine Neuwahl angesetzt werde. Torra rief die Wähler auf, diese Abstimmung zu einem Plebiszit über die Abspaltung von Spanien zu machen.

28.09.2020, Spanien, Barcelona: Menschen gehen in den Straßen von Barcelona während einer Kundgebung gegen die Entscheidung des Obersten Gerichts Spaniens (TSJ), den katalanischen Regionalpräsident Torra wegen Ungehorsams des Amtes zu entheben, an einer brennenden Barrikade vorbei. Nach dem Urteil des TJS soll Torra eineinhalb Jahre lang kein öffentliches Amt bekleiden dürfen. Foto: Jordi Boixareu/ZUMA Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++